Pressespiegel

Kieler Nachrichten | Mittwoch, 15.05.1991

Schleswig-Holstein ist Zentrum der Brahms-Forschung
Gespräch zur Eröffnung des Brahms-Instituts in Lübeck

[von Michael Struck]

Eine Woche nach Brahms' 158. Geburtstag wurde das Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck mit einer Feierstunde in Anwesenheit der Kultusministerin, ihres Staatssekretärs und zahlreicher Ehrengäste aus Kultur und Politik offiziell eröffnet. Die umfangreichen Archivbestände des Instituts rekrutieren sich aus der in Fachkreisen seit langem gerühmten Sammlung Hofmann, die zur Jahreswende 1989/90 vom schleswig-holsteinischen Kultusministerium mit Hilfe mehrerer Mäzene erworben werden konnte. Kurt und Renate Hofmann leiten das Institut gemeinsam; vor einigen Monaten ist das Ehepaar mit seinen Schätzen von Hamburg nach Lübeck gezogen. Die Archiv- und Arbeitsräume des Brahms-Institutes befinden sich im Lübecker Institut für Medizin- und Wissenschaftsgeschichte. Die Kieler Nachrichten befragten Kurt Hofmann anläßlich der Institutseröffnung.

Herr Hofmann, wie schafft man es, die weltweit größte private Brahms-Sammlung zu besitzen?

Das ist nicht leicht zu beantworten. Es gehört nicht nur Liebe zur Sache, sondern eine Art Besessenheit dazu . Ich sammle seit 38 Jahren – über Brahms selbst und über sein Umfeld. Ich habe nie Reichtümer besessen, so daß ich mir nicht leisten konnte, Brahms-Autographen auf Auktionen zu erwerben , sondern habe immer Kleines gegen Großes getauscht, bin in jede Buchhandlung, jedes Antiquariat am Wege gegangen und habe gekauft. Vieles war vor einigen Jahrzehnten noch sehr billig zu haben – zum Beispiel Schubert-Erstausgaben mit seinen eigenhändigen Kontrollvermerken, die ich später gegen ebenso hochrangige Brahmsiana eingetauscht habe. Zunächst aber war eines ausschlaggebend: Mich hat die Aussage von Brahms' Musik bewegt, hat innere Regungen freigelegt, die ich bei keinem anderen Komponisten – mit Ausnahme von Robert Schumann – so stark empfunden habe. Insbesondere hat mich dann interessiert zu erforschen, wieso es möglich war, daß Hamburg den Komponisten sozusagen hat links liegen lassen. Dabei bin ich auf ganz erstaunliche Ergebnisse gestoßen.

Zwar stammen Brahms' Eltern aus Schleswig-Holstein, doch Brahms selbst ist gebürtiger, waschechter Hamburger, den es später eher notgedrungen nach Wien verschlug. Wieso wird Brahms jetzt quasi posthum Schleswig-Holsteiner?

Ich habe die Brahms-Pflege und die staatlichen Unterstützungen des Landes Schleswig-Holstein seit vielen Jahren beobachtet, dann die Ansiedlung der Brahms-Gesamtausgabe in Kiel intensiv miterlebt und als Mitglied ihres Trägervereins auch die verantwortlichen Herren des Kultusministeriums kennengelernt. Dies führte schließlich zu der Initialzündung in den Überlegungen, daß unsere Sammlung hier, in einem Institut, in dem wir selbständig forschen können, und eben auch als geschlossener Bestand am besten aufgehoben sei. Diese großzügige Unterstützung des Landes Schleswig-Holstein hätte ich mir für Hamburg, meine Vaterstadt, nicht vorstellen können.

Worin liegen die Schwerpunkte Ihrer Sammlung?

Sie liegen sicherlich in den Musikdrucken, über die ich im Falle Brahms und Schumann auch Bibliographien veröffentlicht habe. Daneben ist der Bestand an Handschriften und Korrekturexemplaren zu nennen, der Einblick ein Brahms' Werkstatt gibt, die sonst bei ihm ja vielfach verborgen geblieben sind. Außerdem besitzt das Institut reichhaltiges ikonographisches Material, vor allem Fotografien, unter denen sich große Teile aus Brahms' eigenem Besitz befinden, sowie den sicherlich umfangreichsten Bestand an Programmzetteln mit Ur- und Erstaufführungen. All das spiegelt ein Stück Musikgeschichte und Aufführungspraxis in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wider. Wichtig ist auch der heute noch vorhandene Nachlaß des Brahms-Freundes Theodor Kirchner mit Handexemplaren, unveröffentlichten Werken, Skizzen und Entwürfen Kirchners. Aber auch einige Notenhandschriften Robert und Clara Schumanns, Briefmanuskripte und die Nachlässe weiterer Brahms-Freunde – Julius Spengels und Richard Barths – gehören zu unserer Sammlung.

Was werden die Aufgaben des Brahms-Institutes sein? Wer außer Ihnen kann darin arbeiten, wer wird davon profitieren?

Zunächst kann der Forscher hier arbeiten. Wir nehmen stark an, daß die Wissenschaftlichen Neuausgaben der Werke von Brahms und Schumann von unseren Beständen Gebrauch machen wollen. Aber auch Studierende – Wissenschaftler wie ausübende Musiker – können unsere Bestände einsehen. Gerade an der Lübecker Musikhochschule möchten wir dabei Anregungen zur Wiederaufführung von Werken aus dem Brahms-Kreis geben, an denen man heute achtlos vorübergeht , und das entsprechende Material bereitstellen, das auch im Hinblick auf damalige Aufführungstraditionen wichtig ist. Da wir zur Zeit noch keine ständige Bürokraft haben, ist es am besten, wenn persönliche Besuche mit uns vereinbart werden.

Kernstück des Institutes ist die renommierte Hofmann-Sammlung – bleibt es bei diesem Bestand?

Wir versuchen, wie es eigentlich auch üblich ist, die Bestände weiter zu mehren. Auch hier haben wir bisher durch das Land Schleswig-Holstein eine vorbildliche Unterstützung in unseren Plänen.

Wie sehen die künftigen Arbeitsvorhaben der beiden Institutsleiter Kurt und Renate Hofmann aus?

Wir haben soeben den 17. Band des Brahms-Briefwechsels vorgestellt: Brahms' Korrespondenz mit dem Herzogpaar von Meiningen. Dieser Band setzt nach fast 70jähriger Pause die von der Deutschen Brahms-Gesellschaft begründete Tradition geschlossener Briefeditionen fort. Zur Zeit arbeiten wir am 18. Band – Brahms im Briefwechsel mit dem Sänger Julius Stockhausen und dem Dirigenten Julius Spengel. Wir wollen dann versuchen, den Familien-Briefwechsel neu zu edieren, der jetzt durch Quellen, die uns Brahms' Großneffe zur Verfügung gestellt hat, weitere Aufschlüsse über das Verhältnis von Brahms zu seiner Schwester Elise gibt. Zudem wollen wir Briefe von Clara Schumann an Theodor Kirchner herausgeben – auch um damit den ziemlich unsinnigen Behauptungen aus Eva Weissweilers neuer Roman-Biographie über Clara Schumann entgegenzutreten. Und last not least wollen wir das kostbare Adreßbuch von Brahms, einen der Glanzpunkte unserer Sammlung, publizieren.

Wie steht es um die Zusammenarbeit mit anderen Brahms-Institutionen?

Eine besonders enge, ja freundschaftliche Zusammenarbeit besteht zwischen uns und der Wissenschaftlichen Arbeitsstelle der neuen Brahms-Gesamtausgabe in Kiel. Das ist für uns um so erfreulicher, weil dokumentiert wird, daß das Zentrum der Brahms-Forschung sich nunmehr in Schleswig-Holstein befindet. Vornehmlich eng arbeiten wir außerdem mit der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zusammen, mit der uns auch gemeinsame Projekte verbinden.

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